Interview mit Sergio Ramos, Agrarökonom und Lehrer auf Santo Antão
REGEN. REGEN. ENDLICH REGEN.
"Wir sind ein Volk das niemals aufgibt, auch wenn die Gegebenheiten noch so schwierig sind“ konstatiert Sergio Ramos im Interview
“Txuba, Txuba!” hört man oft in den letzten Wochen - „Regen, Regen“ ertönt es freudig erregt auf den Strassen von Santo Antão.
Es ist Regenzeit im August und September auf den Kapverden – allerdings ist relevanter Niederschlag in den letzten Jahren eher selten geworden. Auch auf den Kapverden ist der Klimawandel deutlich spürbar. So führen zunehmende klimatische Extreme zu Wassermangel und Dürre auf den Inseln was darin resultiert, dass die Landwirtschaft besonders stark betroffen ist.
Nach Jahren der Wasserarmut hat es nun Anfang September endlich angefangen zu regnen, und das zum Teil sehr heftig.
Das wirft Fragen auf. Sergio R. weiss Antworten. Er ist Landwirt auf Santo Antão und lebt im nördlichen Teil der Insel in der Gegend von Chã das Pedras.
Aufgrund der aktuellen Coronasituation hat der 32-jährige, der hauptberuflich Lehrer im westlichen Teil von Santo Antão ist, nun mehr Zeit seine Mutter und Familie in der Landwirtschaft zu unterstützen.
Sergio hat in der Vergangenheit für vista verde tours auch immer wieder als engagierter Guide gearbeitet.
vista verde tours: Es scheint, dass es in diesem Jahr viel mehr geregnet hat als in den vergangenen Jahren? Oder ist das ein Trugschein und unterm Strich hat es immer gleich viel geregnet?
Sergio: Das ist eine Tatsache! Im Vergleich zu den letzten drei Jahren ohne nennenswerten Regen hatten wir dieses Jahr sehr viel mehr Niederschlag!
vista verde tours: Wie oft hast du solch starken Regen in deinem Leben schon erlebt?
Sergio: Selten… seit Beginn der Auswirkungen der Erderwärmung ca. 2008 ist dies erst mein zweites Mal nach 2016 (und nun 2020).
vista verde tours: Was sind die Vorteile des heftigen Regens in diesem Jahr, welche Nachteile ergeben sich in Bezug auf die Landwirtschaft?
Sergio: Regen bringt uns immer Vorteile, d.h. je mehr Regen, desto mehr Wasser und somit desto mehr Futter für die Tiere und desto mehr Landwirtschaft und schlussendlich mehr Produkte zum Handeln. Jedoch bringt der Regen auch die Erosion mit sich, welche die wertvollen Nährstoffe aus den Böden herausspült.
vista verde tours: Wie ist der Schaden konkret auf deinem Land? In welchem Ausmaß ist das Ackerland betroffen?
Sergio: Ja, das ist es! Ich hatte Ernteschäden in Höhe von etwa 650 Euro und viele Terrassen sind eingestürzt. Somit ist der Boden ausgespült worden und die Nährstoffe sind weg. Das ist sehr viel Geld für mich!
vista verde tours: Sind die Felder tatsächlich fruchtbarer oder bringt der Regen genau das Gegenteil?
Sergio: Sicherlich werden die Böden immer weniger fruchtbar als Folge des Starkregens jedoch auch aufgrund der topographischen Charakteristika von Santo Antão.
vista verde tours: Erwartest Du jetzt eine größere Ernte im Vergleich zu den letzten Jahren mit weniger Regen?
Sergio: Ja, mit Sicherheit rechnen wir mit einer guten Ernte im Vergleich zu den letzten Jahren.
vista verde tours: Habt Ihr im Vergleich zum letzten Jahr mehr landwirtschaftlich nutzbare Flächen wie etwa Terrassen zur Verfügung? Wenn ja, warum?
Sergio: Dies ist eine Frage, die ich mit der Leidenschaft und der nie aufgebenden Hoffnung beantworten muss. Denn wir sind ein Volk das niemals aufgibt, auch wenn die Umstände schwierig sind. In meinem Fall habe ich also mehr Terrassen gebaut, mein Land erweitert und Brachland wieder für die Landwirtschaft aufbereitet.
vista verde tours: Ist das Land in Eigenbesitz oder gepachtet?
Sergio: Ich persönlich habe mein eigenes Land und zusätzlich das meiner Familie. Aber im Allgemeinen wird das Land hier an Bauern verpachtet und von diesen "weiter verpachtet" um so zu garantieren, dass die Felder dauernd bewirtschaftet werden.
vista verde tours: Wie nutzt Ihr die Ressource Wasser (nachhaltig) im Hinblick auf die Landwirtschaft in einem Land, in dem Regen sehr knapp und selten ist? Wo und wie speichert ihr es?
Sergio: Seit Anfang der 40er Jahre gab und gibt es viele interessante Bauprojekte zur Wasserspeicherung. So gibt zum Beispiel viele Tanks und Stauseen und -dämme auf den Inseln.
vista verde tours: Wie passt sich die Landwirtschaft im Allgemeinen an diese Bedingungen etwa im Hinblick auf Bewässerungssysteme oder die Art der Bewirtschaftung an?
Sergio: Die Einstellung der Landwirte ist hier sehr widersprüchlich und gespalten. Einige nehmen neue Technologien an Bewässerungssystemen an und lassen sich auch im Hinblick auf die Vielfalt an Ernteprodukten beraten, während andere an der traditionellen Art der Landwirtschaft festhalten. Letztere bringt heutzutage viele Nachteile mit sich, wie zum Beispiel einen hohen Grad an Wasserverschwendung, das Auswaschen von Nährstoffen aus den Böden sowie die zunehmende Schwierigkeit bei der Bekämpfung der Insektenplage.
vista verde tours: Welche Kulturen baust du normalerweise an?
Sergio: Normalerweise unterscheiden wir zwischen zwei Arten von Landwirtschaft: „Trocken“ und „Nass“. Bei wenig Regen bauen wir hauptsächlich Bohnen, Mais, Kartoffeln, Maniok und Kürbis an. Wenn wir mehr Regen oder „feuchtere“ Gebiete haben, werden neben den vorherig genannten Produkten auch mehr Zuckerrohr, mehr Gemüse, Jams, Bananen und andere Früchte angebaut.
vista verde tours: Wie nutzt du jetzt den starken Regen aus? Baust du persönlich andere Produkte an? Was hast du verändert?
Sergio: Es gibt keinen wirklichen Fahrplan für die Produktpalette im Zusammenhang mit der Stärke des Regens. Was es gibt, ist einen minimalen Unterschied in der Widerstandsfähigkeit der Pflanzen gegen Regen, aber das wirkt sich nicht auf unsere Entscheidung aus. Denn so lange die Böden feucht bleiben, desto mehr können wir anbauen. Also liegt der Schlüssel in der Bewässerung.
vista verde tours: Baut Ihr nur für eure Familie an oder verkauft bzw. exportiert ihr auch? Wenn ja, welche Produkte?
Sergio: Normalerweise versuchen wir hier die Waage zu halten. Dennoch haben wir mehr Produkte zum Verkauf, insbesondere Süßkartoffeln und normale Kartoffeln, Maniok, Mais, Bohnen, Erbsen und sogar die Gräser für die Tiere. Diese exportieren und verkaufen wir auf São Vicente. Dennoch behalten wir genug, damit wir auch immer Essen auf unserem Tisch haben.
vista verde tours: Denkst du darüber nach, bestimmte Produkte für "schlechtere" Zeiten zu lagern? Wenn ja, wie und welche?
Sergio: Ich halte das für eine großartige Idee und das wird einige enorme Auswirkungen auf mehr Saatgut und damit mehr Nahrung für Mensch und Tier mit sich bringen. Früher lagerten die Menschen bis zu 10 Jahre lang vor allem Bohnen, Mais und Erbsen in Eisenfässern; mittlerweile gibt es auch andere Techniken zur Lagerung.
vista verde tours: Siehst du einen Einfluss oder eine Verbindung zwischen der aktuellen Covid-19 Krise und der Landwirtschaft, wie z.B. das Vorhandensein von mehr Arbeitskräften? Wenn ja, welche? Siehst du irgendwelche Vorteile in Bezug auf die Landwirtschaft?
Sergio: In jeder Krise steckt auch eine Möglichkeit. So bringt Covid-19 den Menschen eine gute Perspektive nachhaltiger zu agieren und zu sein. Sie sehen wie wichtig es ist sich ein eigenes und autarkes Einkommen zu schaffen, sodass nun mehr Menschen investieren und der Landwirtschaftssektor wächst.
vista verde tours: Gäbe es unter veränderten Bedingungen ggf. noch bessere Möglichkeiten für die Landwirtschaft z. B. Zugang zu Material oder Unterstützung durch die Regierung? Welche?
Sergio: Wir wünschen und brauchen eine solche Unterstützung für die Landwirtschaft auf Landesebene und nicht hier und dort. Wiederaufforstungsprojekte, Verhinderung von Erosion, die Einführung von neuen Technologien im Bezug auf Bewässerungssysteme und das Bauen von mehr Wasserreservoirs, sowie die generelle Unterstützung der Bauern nach einer schlechten Ernte sind die Dinge, die fehlen.
vista verde tours: Inwieweit unterstützt die Regierung die Bauern denn jetzt nach dem starken Regen? Ist die Regierung überhaupt an einer nachhaltigen Landwirtschaft und Bewirtschaftung interessiert? Wenn ja, wie würdest Du sie beschreiben? Wenn nein, was sind Deiner Meinung nach die Gründe dafür?
Sergio: Es gibt grundsätzlich keine Politik oder Gesetze, die die Farmer im Falle einer Verlusternte unterstützen. So muss jeder aus eigener Kraft mehr Ausgaben als Einnahmen kompensieren was sich sowohl auf die Physis als auch die Psyche auswirkt. Seit jedoch ca. 2016 zeigt die Politik ein wenig Interesse daran, unsere Landwirtschaft nachhaltig zu nutzen. So wurden zum Beispiel kleine Industrien gefördert und etabliert, welche Produkte weiterverarbeiten wie z.B. Mangos in Saft oder Marmelade, um zumindest mehr Beschäftigung und mehr Einkommen zu schaffen - aber wir warten immer noch darauf, dass es wirklich umgesetzt wird. Meiner Meinung nach, wenn es passiert, wäre das super, denn das bedeutet Fortschritt!
vista verde tours: Ist mit der Landwirtschaft auf Santo Antão irgendein Schutz in Bezug auf Umwelt und Klima verbunden?
Sergio: Bis jetzt ist noch nichts passiert.
Herzlichen Dank an Sergio Ramos für dieses Interview, das am 20.09.2020 auf Santo Antão auf Englisch geführt wurde.
"Wir warten 10 Monate auf den Regen und dann ist er in 5 Minuten vorbei" so sagte Mario noch vor kurzem
(Mario Lucio, Ex-Simentera)
"Spera txuba" - "warten auf den Regen"
Unbedingt reinhören.
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